Konrad Kittl war ein Münchner Rechtsanwalt, der hauptsächlich in den 1950er und 1960er Jahren  ca. 1500 Entschädigungsverfahren - geht man nach der Anzahl der Akten -  für Verfolgte durchführte. Es handelte sich dabei um Verfahren wegen einer Entschädigung für Schaden an Körper und Gesundheit. Teilweise zogen sich die Verfahren bis in die 1970er/1980er Jahre hinein. Diese Akten übergab er ab 2009 nach und nach dem "Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e. V.".

Andere Anwälte haben ihre Akten vernichtet, darauf lässt die Aussage eines Korrespondenzanwalt schliessen, welcher Kittl die Akten zu gemeinsam bearbeiteten Fällen überlies mit der Bemerkung, dass er seine verbleibenden Akten jetzt vernichten würde.

Konrad Kittl - einige biografische Angaben

  • geboren am 12.1.1931 in München, gestorben am  31.5.2015 in München
  • seit 1.12.1953 Mitglied der SPD/Gewerkschaft
  • war "seit 1954 in namhaften Münchener Kanzleien in E-Sachen tätig" (siehe sein Schreiben vom 26.6.63 an das Landgericht Stuttgart, Akte Pola Fuchs)
  • arbeitete bis ca. 1963 in der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. Wolf an Entschädigungsfällen mit, bevor er dann eine eigene Kanzlei eröffnete (siehe Schreiben vom 16.7.1963 an H. Veit, Vorsitzender der SPD Landtagsfraktion Baden-Württemberg, Akte Pola Fuchs). Er arbeitete aber weiterhin mit Dr. Wolf zusammen und führte Fälle von Dr. Wolf weiter
  • er konnte Zahlungen  "zwischen 10 und 15 Millionen Entschädigungsgelder" für seine Klienten erreichen (Schreiben an die Rechtsanwaltskammer f. d. Oberlandesgerichtsbezirk München, 17.9.1973)
  • Anlässlich der Verfolgung eines wohl hoffnungslosen Falles schrieb ein Stuttgarter Kollege,  dass doch er doch in einigen Fällen "mit zu weit gegangener Vehemenz" gekämpft hätte und schreibt, "es ist wirklich wichtiger, daß Sie als Anwalt in Entschädigungssachen Ihren guten und seriösen Ruf behalten". Er erwähnt noch den "guten Ruf, den (er) vor allem vor dem 7. Senat genossen hatte". Kittl, kämpferisch, antwortet: "Ich bin, sehr geehrter Herr Kollege, in den letzten Jahren immer mehr zur Auffassung gekommen, daß man sich von einem Gericht nichts, aber auch gar nichts gefallen lassen darf" und "daß wir Anwälte es schlechterdings nicht nötig haben, uns von irgendeinem Richter ins Bockshorn jagen zu lassen". Und weiter, "die Erbostheit des Herrn Senatsvorsitzenden könnte allenfalls daher rühren, daß bisher der Bundesgerichtshof bereits auf meine Revisionen hin zwei Urteile des OLG Stuttgart aufgehoben hat." (Akte Kires)
  • Verteidigung von Studenten der 68er Bewegung:
    • "Konni, von ganzem Herzen danke ich Dir, dass Du mit Klugheit und mit Witz viele von uns verteidigt hast, auch wenn Du wusstest, dass wir auf verlorenem Posten standen und wir Deine Anwaltskosten oft nicht bezahlen konnten", Günther Gerstenberg, Trauerrede, http://protest-muenchen.sub-bavaria.de/artikel/5042).
    • "Was er machte? Er stand uns bei. Bei vielen vom SDS, von der APO, bei den Antiautoritären, den Autonomen. Auch wenn die Aussichten hoffnungslos waren. Er stand uns bei, obwohl wir die Lumpen waren, der Abschaum, die Linksradikalen." (s.o.)
  • später spezialisierte er sich auf das Arbeitsrecht und die Verteidigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Er führte Betriebs- und Personalräteschulungen durch
  • 1980er und 1990er Jahre: Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht in München
  • daneben protokollierte/dokumentierte er zusammen mit Peter Kreuzer die Entstehung der Sprayerszene  in München mit einer Unzahl von Fotos (siehe Buch "ZAR ZIP FLY ZORO" bei Klick-Klack Publishing). Und er verteidigte die jugendlichen Sprayer, wobei er auch "pieces" von ihnen als Bezahlung akzeptiert.
  • nach eigener Einschätzung: "ich war nie so ein Anwalt wie alle anderen" (Interview mit Klick Klack Publishing)
  • die Akten zeigen, dass er sich sehr für seine Klienten einsetzte: Im Falle Pola Fuchs etwa, wo seiner Meinung nach die aktuelle Rechtsprechung missachtet wurde, wandte er sich an die baden-württembergische SPD-Landtaqsfraktion. Er schreibt auch, dass das Landesentschädigungsamt Stuttgart diese auch in anderen Fällen missachtet. Insgesamt wirft er der Behörde vor, alles zu tun, um Bescheide ablehnen zu können. In einem Schreiben von Konrad Kittl vom 6.2.1963 an die „Sozialdemokratische Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg“ erläutert er:
    "Es stellt sich tatsächlich so – und dies ist nicht nur die Meinung des Unterfertigten, sondern die Meinung aller Kollegen, die in Stuttgart Entschädigungssachen vertreten – dass die Entschädigungsbehörde nach Ausflüchten sucht, die es ihr möglich machen, Ansprüche Verfolgter zurückzuweisen." Kittl erreicht noch einen Vergleich. Noch 1967 meint  Kittl über das Entschädigungsamt Stuttgart: "Alle diese  Bemühungen scheitern jedoch an der Sturheit der dortigen Behörde, die ihre Entschädigungs-Sabotage sehr trefflich mit formeller Korrektheit zu tarnen wissen." (Akte Kires).
  • In einem Schreiben an einen Kollegen rügt er: "Sie scheinen in letzter Zeit überhaupt keine Lust mehr zu haben, Rechtsmittel einzulegen. So kann man es aber nicht machen, schließlich können wir nicht nur die leichten Sachen erledigen und die, die etwas schwierig sind, liegenlassen." (Akte Boris Mandelbaum)

Warum "Zeitzeugin Akte"?

Die Antragsteller mussten zur Begründung ihrer Anträge eidesstattliche Erklärungen abgeben und zwar  jeweils eigene  für Entschädigungsanträge für Schaden an  Freiheit, Leben, Gesundheit, Ausbildung, Vermögen. Darüber hinaus wurden von Ämtern und Gerichten Nachfragen gestellt, die von den Antragstellern zu beantworten waren. Des weiteren schilderten die Antragsteller gegenüber Gutachtern die Verfolgungsgeschichte. Insgesamt enthalten die Akten "detaillierte Darstellungen des selbst Erlebten in Schriftform. Sie sind damit gleichsam verschriftlichte Gespräche mit Zeitzeugen" (Monatsbericht des BMF, Januar 2021).  Wobei – auf Grund der unterschiedlichen Schadensarten – verschiedenste Aspekte der Verfolgung geschildert wurden.

Der Schwerpunkt von Konrad Kittl waren allerdings Entschädigungen für „Schaden an Körper und Gesundheit“. Aussagen von Antragstellern zu anderen Schadensarten sind hauptsächlich zum „Schaden an Freiheit“ enthalten. In den Akten sind nur einige wenige Aussagen zum Schaden an Vermögen, Ausbildung, Leben enthalten. Näheres siehe Abschnitt "Über die Biografien“.

Die Aussagen der Antragsteller

Zur Begründung jeden Antrages wurden eidesstattliche Erklärungen gegenüber den Entschädigungsämtern und Gerichten gefordert - eine "Schilderung des Verfolgungsverlaufs ... und auch des  Verfolgungsschicksals näherer Angehöriger" (siehe dieses Schreiben). Diese Schilderungen  illustrieren die grausame Verfolgung von Juden durch die Nationalsozialisten. Es sind Zeitzeugenberichte in Kurzform.

Sie beschreiben:

  • die Verfolgung deutscher Juden ab 1933
  • die Erlebnisse unmittelbar nach dem Beginn der nationalsozialistischen Besatzung: Enteignung, Verbot des Schulbesuchs, Zwangsarbeit, Mißhandlungen, Ermordung von Angehörigen.
  • das Leben in den Ghettos: drangvolle Enge, Seuchen, Hunger, Zwangsarbeit in 12-stündigen Schichten für deutsche Firmen und das Militär, Deportationen und/oder Ermordung von Familienmitgliedern, Massenerschießungen bei Liquidationen von Ghettos
  • das Leben in KZs und Arbeitslager: Tote während des Transports, Ermordung von Angehörigen bei der Ankunft in Auschwitz, Zwangsarbeit (in Munitionsfabriken, Bergwerken, Bunkerbau, Flugplatzbau, Flugzeugbau, Spinnereien, Webereien u.v.m.) und Misshandlungen bei vollkommen ungenügender Ernährung und Bekleidung
  • die Todesmärsche: Hunger, mangelnde Bekleidung, Bombardierungen, Ermordung von Häftlingen durch die Wachmannschaften
  • das Leben in der Illegalität: einige der Antragsteller konnten fliehen und mussten in Verstecken bei Bauern und in den Wäldern, von deutschen Patrouillen verfolgt, Hunger und der Kälte ausgesetzt um ihr Leben kämpfen.
  • das Leben in der UdSSR: Juden konnten in das russisch besetzte Gebiet fliehen oder wurden von den Deutschen dorthin vertrieben. Sie schildern ihr Leben erst in Arbeitslagern, später das Leben meist in Mittelasien
  • das Leben vor und nach der Verfolgung: die Antragstellerinnen und Antragsteller beschreiben - nur  kurz -  das Leben vor der Verfolgung und von der Befreiung bis zur Emigration nach Israel oder die USA. Aufschlußreich die Berichte über die illegalen Einreisen nach Israel auf "Seelenverkäufern" mit Verfolgung durch britische Schiffe und Internierungen auf Zypern, auf bei Sturm sinkenden Schiffen. Eine Antragstellerin war auf der "Exodus". Ein weiterer auf der "Patria".

Ziele der Auswertung

Den Inhalt der Akten bekanntmachen

Der Inhalt gibt einen guten Überblick über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich und Osteuropa sowie den Verlauf der  Entschädigungsverfahren.

Schilderungen von Zeitzeugen veröffentlichen

Die Antragsteller wurden aufgefordert, ihr Verfolgungsschicksal und das ihrer Angehörigen zu schildern. Diese knappen Schilderungen illustrieren die Verfolgung und sie stellen Puzzleteile dar, die zusammen ein Gesamtbild der Verfolgung liefern. Die unterschiedlichen Herkunftsländer der Verfolgten zeigen die Schicksale von Juden aus Deutschland, vom Baltikum bis Ungarn und Rumänien. Sie sollten nicht in Vergessenheit geraten.

Verknüpfung von Ghettos, KZs und Zwangsarbeitslagern mit Namen

Die Antragsteller schildern ihr Verfolgungsschicksal und  erwähnen auch die Inhaftierungsorte, welche  auf einer Karte (siehe unten) verzeichnet sind.. Diesen Inhaftierungsorten können jetzt (weitere) konkrete Personen zugeordnet werden.

Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Archiven

Die ergänzenden Dokumente u.a. aus den Arolsen Archives, des United States Holcaust Memorial Museum und der Landesentschädigungsämter liefern zusätzliche Informationen die die Daten der Antragsteller und Antragstellerinnen bestätigen und ergänzen. Außerdem geben sie einen Einblick in die Bürokratie der Verfolgung wo mit Arbeitsausweisen, Erfassungsbögen, Wohnungsbelegungsbögen, Ausweisungsbefehlen, Häftlingskarteikarten, Häftlingspersonalbögen, Effektenkarten, Arbeitseinsatzkarten, Transportlisten u.v.m die Verfolgten erfasst wurden.

Daneben haben einige Antragstellerinnen und Antragsteller später Interviews gegeben (siehe United States Holocaust Memorial Museum):

Henry Adler, Sam Binke, Esther Eisdorfer, Elka Kolski, Bernhard Martin, Hyman Olstein, Boris Piekny, Joe Schlesinger, Rachel Schper, Lilli Silbiger,  Felix Zgnilek.

Die Biografie von Lilli S. konnte ergänzt werden durch die Angaben aus einem Gerichtsurteile gegen den Lagerführer des Außenlagers Helmstedt, Alois Dörr. Zumindest zwei weitere Antragsteller traten als Zeugen in Gerichtsverfahren auf, u. a. Boris Piekny in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen.

Beschreibung der Ausbeutung

Die Biografien der Antragstellerinnen und Antragsteller  werden ergänzt durch entsprechende Beschreibungen der Arbeitslager von deutschland-ein-denkmal.de. Sie sollen die Aussagen der Antragstellerinnen insoweit ergänzen, als das hier die auszuführenden Arbeiten - soweit die Antragsteller diese nicht selbst benennen - beschrieben und die Firmen genannt werden, für die sie arbeiten mußten. Manche Antragstellerinnen erwähnen diese, die meisten jedoch nicht.

Erschließung weiterer Themenbereiche

Es werden häufig Namen von Personen, Organisationen und Ereignissen genannt bzw. führen zu Namen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten der Verfolgung stehen:

  • Ereignisse: Novemberpogrom ("Reichskristallnacht"), "Polenaktion", Auschwitz-Prozesse in Frankfurt (Boris Piekny)
  • Organisationen: Organisation Todt, Organisation Schmelt
  • Firmen: IG Farben, HASAG, Hermann-Göring-Werke (Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring")
  • Personen: Jacob Gens, Hans Biebow, Mordechai Chaim Rumkowski, Karl Plagge (Moshe K.), Oskar Schindler  (Feivel Haar), Erwin Dold

Diese Begriffe sind jeweils zu einer Webseite mit weiteren Informationen verlinkt und sollen zu weiterer eigenständiger Recherche anregen.

Erschließung von Internetquellen

Durch die Einbindung von passenden links zu den Internetauftritten von z.B. Gedenkstätten und Portalen wird versucht, zu eigenen Recherchen zu motivieren. Die Biografien dienen hier als roter Faden, anhand dessen die existierenden Beschreibungen der Ghettos, Zwangsarbeitslager und KZ's zugänglich gemacht werden sollen. Es gibt mittlerweile genügend seriöses Seiten, viele davon leider nur in englischer Sprache. Um die Einstiegsschwelle für eigene Recherchen möglichst niedrig zu halten, wird auf Internetquellen verlinkt.

Anregung zu weiteren Recherchen in Archiven

In den Unterlagen werden Namen von Zeugen sowie das Landesentschädigungsamt und das Aktenzeichen ihrer Entschädigungsverfahren genannt. Da alle Entschädigungsverfahren eines Antragstellers vom gleichen Entschädigungsamt durchgeführt wurden, können weitere Informationen aus anderen  Verfahren des Antragstellers dort gefunden werden.

Förderung

Unsere Arbeit wird gefödert durch das Kulturreferat der Stadt München

sowie vom Bezirk Oberbayern.

Zuletzt geändert

zuletzt geändert am 9.5.2023: Schreiben an Kollegen: "Sie scheinen ..." eingefügt.