Einführung

Anfänglich konnten Verfolgte, die vor den Deutschen auf russisch besetztes Gebiet geflohen oder von den Deutschen dahin vertrieben worden waren, keinerlei Schäden an Körper und Gesundheit geltend machen. Erst mit der Änderung der Rechtsprechung (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 1961 - BGH, 25.10.1961 - IV ZR 101/61) war dies möglich. Da die Frist  zur Nachmeldung verhältnismäßig kurz  war, wurde die Frist häufig versäumt uind es wurden vom Entschädigungsamt Erklärung gefordert, warum die Nachmeldung zu spät erfolgte.
Die Antragsteller beschreiben die Umstände, die sie Ende 1939 auf russisch besetztes Gebiet fliehen ließen bzw. die Vertreibung auf russisch besetztes Gebiet über den San durch die Deutschen.
Sie beschreiben auch die Lebensumstände unter russischer Herrschaft: Verhaftung 1940, Zwangsarbeit, Freilassung nach Beginn des deutsch-russischen Krieges, die Lebenssituation danach bis zur Rückkehr nach Deutschland.

Jakow Esteron

Biografie:  bis 12/1939 Hrubieszow, 12/1939 Sokal, russ. besetztes Gebiet Polens, Wladimir-Wolinsk, Lemberg, Luck, 1941 Saratow, Jangi-Jul, Taschkenskaja Oblast, Farchadstroy/Usbekistan (Trud-Armee),  16.9.1946  Ulm/Sedankaserne, Israel, 1.9.1949 Israel

Dies ging so bis Anfang Dezember 1939. An einem Freitag abend, es war am 1. oder 2. Dezember 1939, traf bei uns eine aus Chelm gejagte Kolonne Juden ein. Wir aus Hrubieszow wurden angewiesen, am Samstag vormittags, am Wigon Platz, gegenüber dem Schlachthaus zusammen zu kommen. Es wurde uns befohlen, Geld, Gold, Silber, Uhren u.s.w. abzugeben. Nach einigen Stunden wurden wir zusammen, mit den Juden aus Chelm, weitergetrieben. Wir durften nicht sprechen, uns nicht umdrehen, wer stehen blieb, um sich etwas an den Sachen zu ordnen, wurde erschossen, man wurde aus der Reihe genommen und wir hörten dann einen Schuss.
Nachdem wir das Dorf Drohobiszow passierten passierten, wo wir eine Nacht gezwungen im kalten Wasser zu stehen – viele von den Inhaftierten sind von diesem Teich gar nicht mehr herausgekommen – wurden wir in zwei Gruppen geteilt. Ich kam in die Gruppe, die nach Sokal musste.
In Sokal wurden Männer erschossen, anderen wurden die Bärte mit Fleischstücken herausgerissen, man zwang Juden mit der Zunge, die Stiefel von Soldaten zu reinigen und unzählige solcher Gräueltaten waren an der Tagesordnung.
In Sokal wurden wir über die Brücke des Bugs und viele von uns wurden in den Fluss Bug getrieben. Die Russen wollten uns nicht annehmen und wir kamen zurück nach Sokal. Es war eine stürmische Nacht. Ein Teil von uns kam in einer verlassenen Scheune unter, wo die Deutschen dann wahllos Erschiessungen vornahmen. Von tausenden von Inhaftierten kamen nur ca. 402 an. Nach unbeschreiblichen Leiden, kamen wir nach einer Zeit, auf das von den Russen besetzte Gebiet Polens an. Ich bin rassisch Verfolgter und kam auf Grund der Verfolgungen auf dieses Gebiet.
Ueber Wladimir Wolinsk – Lemberg – Luch – Sarstoiw – kam ich nach Jangi-Jul, Taschkentskaja Oblast.
Ueberall musste ich schwerste, meine Kräfte übersteigende Schwarzarbeiten, bei völlig unzureichender Kost, unter den schwersten Lebens. und Wohnungsbedingungen, sehr oft krank, leisten.

Mates Friedman

geboren am 21.11.1918 in Mielec/Polen

Biografie: geboren am 21.11.1918 Mielec/Polen

(1939 nach Besetzung Vertreibung der Familie aus Mielec) Als wohlhabende und bekannte Familie waren wir mit die ersten, die gzwungen wurden, sofort unsere Heimatstadt zu verlassen. Wir irrten in der Umgebung umher- Ich habe mich damals von meiner Familie geloest und bin nach Osten geflohen. Kurz vor Jaroslaw wurde ich aufgegriffen und von den Nazis gezwungen, in das Lager Jaroslaw zu gehen. Nach einem mehrtaegigen Aufenthalt in Jaroslaw, als ich eines Morgens zum Brunnen ging um Wasser zu holen, traf ich auf Gestapo und wurde von diesen brutal zusammengeschlagen. Ich blieb fuer einige Zeit bewusstlos und nach heute sieht man eine grosse Narbe an meiner rechten Stirn. Im Oktober 1939 wurden wir von den Nazis ueber den San unter Androhung der Todesstrafe in das von den Russen besetzte Gebiet getrieben. Wir irrten umher und kamen schliesslich nach Lemberg. In Lemberg befahlen uns russische Behoerden uns zu melden, damit man uns nach Polen zurueckschicken koennte. Wir lebten hier unter drueckenden Verhaeltnissen. Eine Existenzmoeglichkeit gab es nicht.
Eines Tages – soweit ich mich erinnere, war es im Fruehsommer 1940 – erschienen vor unserem Platz russische bewaffnete Beamte und forderten uns auf, sofort an einem gewissen Sammelpunkt zu erscheinen. Von hier aus schleppte man uns zu einem Bahnhof wo bereits Gueterzeuge bereitstanden. In engen Gueterwagen wurden wir hineingepfercht. Und dann ging die Fahrt ostwaerts. Fuer etwa drei Wochen waren wir unterwegs. Es waren entsetzliche Zustaende. Die Zuege durften wir nicht verlassen und wir bekamen kaum zu essen. Wir konnten uns nicht waschen und wurden von den Wachtposten schikaniert. Auf Anfragen warum man uns verhaftet habe, bekamen wir keine Antwort. Endlich kamen wir am Ziel unserer Reise an. Wir kamen in eine Barackenlager mit dem Poporetzka, welches sich in Krasnojarskie Kraj, in Sibirien befand. Hier erfuhren wir auch vom Grund unserer Verhaftung und Verschleppung. Die Russen verurteilten uns wegen illegaler Grenzueberschreitung zu mehrjaehrigen Zwangsarbeitsstrafen.