Rachil Schper
- geboren am 1.6.1917 in Breslau, geb. Pinska.
- Ausbildung zur Ärztin in Warschau, abgeschlossen Juni 1939, Reise nach Swir (Interview)
- bis 1941 Ärztin im Kinderheim in Swir/Litauen
- August 1941 bis Januar 1942 (1943?) versteckt in Swir, Ghetto Swir
- Januar 1942 (1943?) bis September 1943 Ghetto Wilna
- September 1943 bis Oktober 1943 KZ Riga/Außenlager Kaiserwald
- Oktober 1943 bis September 1944 KZ Riga/Außenlager Strasdenhof
- September 1944 bis 10. Februar 1945 KZ Stutthof/Außenlager Sophienwalde
- 10. Februar 1945 bis 10.3.1945 Evakuierungsmarsch Richtung Lauenburg (Lebork), befreit bei Chynow
- 1946/1947 Displaced Persons Camp Eschwege
- 1947 USA
Anmerkungen
- Das Datum Januar 1942 ergibt sich aus den vorhandenen Unterlagen, das Datum 1943 aus einem Interview mit Rachil Schper (USC Shoah Foundation).
- Evakuierung: siehe USHMM Encyclopedia of Camps and Ghettos, Volume II, Part B, S. 1431 f.
Vor dem Krieg
Bis zum Frühsommer des Jahres 1939 lebte ich zusammen mit meinen Eltern in Warschau am Platz Przygowski. Ich war eine junge, lebensbejahende Dame und hatte keierlei koerperliche Gebrechen. Nach Abschluss des Gymnasiums studierte ich an der Universitaet von Warschau Medizin. Anfang des Jahres 1939 promovierte ich mit dem Praedikat summa cum laude zum Dr. med. Kurz spaeter nahm ich eine Stelle in einem Kinderlager in Litauen an. Es handelte sich um das Kinderlager "Am See Swiditz'" bei Swir. Da die Grenzen kurz spaeter geschlossen wurden, konnte ich nicht mehr nach Warschau zurueckkehren. Ich blieb in dem Kinderlager bis zum Ausbruch des Deutsch-Russischen Krieges. Als im Sommer 1941 Wilno und damit auch Swir besetzt wurden, begann mein Leidensweg.
Quelle: Soweit nicht anders angegeben: Akten Konrad Kittl, Eidesstattliche Erklärung Rachil Schper
August 1941 bis Januar 1943 Ghetto Swir/Swir
Im August 1941 vertrieb man mich aus meinem Heim und wies mich in das Ghetto ein. Hier lebte ich unter den drueckensten Verhaeltnissen und musste schwerste Zwangsarbeit leisten. Es waren schmutzige und erniedrigende Arbeiten. Bei der Arbeit wurde ich des oefteren schwer misshandelt.
Quelle: Eidesstattliche Erklärung
Anmerkungen: In einem Interview von 1996 schildert sie eine etwas andere Geschichte, sie konnte dem Ghetto entkommen und lebte als "Arierin" bei einem Herrn Kozlowski. Kam dann allerdings im Januar 1943 nach Wilna.
Januar 1943 bis September 1943 Ghetto Wilna
Im Januar 1942 (1943?) deportierte man alle Insassen des Ghettos nach Wilno. Hier waren die Verhaeltnisse noch schlimmer. Am graesslichsten war es fuer mich, mit anzusehen, wie man Kinder wegschleppte und Menschen ermordete.
Ghetto Wilna | |
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Ort | Vilnius / Wilna |
Gebiet | Generalbezirk Litauen, Reichskommissariat Ostland (1941-1944) |
Eröffnung | September 1941 |
Liquidierung | 23.-27.09.1943; Anfang Juli 1944 [Rest-Ghetto]; Befreiung durch die Rote Armee am 12./13.07.1944 |
Deportationen | Vom 23.-27.09.1943 nach Treblinka sowie nach Estland und Lettland |
Einsatz der Häftlinge bei | Wehrmacht; deutsche Zivilverwaltung |
Art der Arbeit | Arbeit in der Pelzindustrie, Arbeit beim Heereskraftfahrzeugpark, Arbeit in diversen Werkstätten |
Bemerkungen | In Wilna wurde im September 1941 auf einem Stadtgebiet, wo vorher etwa 4.000 Menschen lebten, ein Ghetto mit zwei Abschnitten für etwa 60.000 Juden eingerichtet. Es unterstand dem deutschen Stadtkommissariat und wurde von der SS und litauischen Hilfspolizisten bewacht. Während beständig Massenexekutionen durchgeführt wurden, denen vor allem "Arbeitsunfähige" zum Opfer fielen, wurde noch im Jahr 1941 ein Teil des Ghettos, das "kleine Ghetto", vollständig aufgelöst. Die etwa 1.500 Insassen wurden erschossen. Während zweier weiterer "Aktionen" wurden am 24.Oktober 1941 5.000-8.000 und am 5. November 1941 etwa 3.000 Personen selektiert und umgebracht. Nach den Deportationen im September 1943 blieben nur etwa 3.000 Juden mit ihren Familienangehörigen im Ghetto zurück. Die letzte große Selektion wurde am 27.03.1944 durchgeführt. Alle Kinder sowie die älteren und "arbeitsunfähigen" Männer und Frauen wurden nach Ponary gebracht und dort erschossen. Das Ghetto wurde Anfang Juli 1944 endgültig aufgelöst. Die Überlebenden wurden ebenfalls in Ponary ermordet. |
Quelle: deutschland-ein-denkmal.de |
Weitere Quellen:
- Ghetto Wilna bei memorialmuseums.org
- Ghetto Wilna bei zukunft-braucht-erinnerung
- Ponary bei juden-in-europa.de
- Ghetto Wilna bei holocaustresearch.org (englisch)
- Die Partisanen von Wilna - Jüdische Musik
- Ponary auf memerialmuseums.org
- Ponary bei yadvashem.org
- Jacob Gens (englisch), Vorsitzender des Judenrats des Ghetto Wilna. Man beachte den Unterschied im Umfang zwischen dem deutschen und englischen Eintrag. Wäre ein geeignetes Beispiel für die Wichtigkeit von Quellenkritik :-).
August 1943 - 30.8.1944 Riga-Kaiserwald / Strasdenhof
Als das Ghetto liquidiert wurde, brachte man uns nach Kaiserwald bei Riga. Eine Nacht, bevor wir transportiert wurden, lies man uns im Freien stehen. Jeder, der nicht kraeftig genug war, wurde grausam geschlagen. Nach wenigen Wochen kam ich in das Lager Strassenhof bei Riga. Hier wurde ich eines Tages grausam geschlagen. Ein deutscher Posten, der staendig in unsere Baracken eindrang, und die Insassen misshandelte, nahm eine Pistole und schlug auf mich ein, vor allem auf den Kopf. {...[unleserlich]...} Wahrscheinlich war es eine Lungenentzuendung, denn ich hatte hohes Fieber und ich hustete stark. Ich wurde nach dieser Misshandlung ohnmaechtig, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf meiner Liege und der Posten war gegangen. Ich habe es nur mitleidigen Haeftlingen zu verdanken, dass ich am Leben bin. Ich befand mich in einem elenden Gesundheitszustand. Ich war zu einem Skelett abgemagert und konnte vor Schwaeche kaum auf meinen Fuessen stehen.
Außenlager des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald | |
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Ort | Rīga / Riga-Strasdenhof |
Bezeichnung | Riga-Strasdenhof, Widzemer Chaussee |
Gebiet | Livland, Generalbezirk Lettland, Reichskommissariat Ostland (1941-1944) |
Eröffnung | August 1943 |
Schließung | "Evakuierung" im August 1944 nach KZ Stutthof, Kdo Thorn; am 25.09.1944 nach KZ Stutthof |
Geschlecht | Frauen |
Einsatz der Häftlinge bei | AEG (Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft); VEF (Valsts Elektrotechniska Fabrika) |
Art der Arbeit | Fabrikarbeit; Verlegen von Kabeln; Erdarbeiten und Torfstechen für die Fabrik |
Quelle: |
August 1944 - Februar 1945
Ende August 1944 wurden wir vom Lager Strassenhof nach dem Lager Stutthof gebracht. Kurz spaeter kam ich in das Aussenlager Sophienwald. Obgleich ich nur noch ein menschliches Wrack war, musste ich hier die schwersten Maennerarbeiten verrichten. [1] Wir mussten Panzergraeben ausschachten, Strassen legen und verschiedene Bauarbeiten verrichten. Beim Bau eines Hauses fiel das Dach herunter und ich wurde dabei verschuettet. Mithaeftlinge gruben mich aus und fuer Tage bin ich nur taumelnd zur Arbeit gegangen. Als sich der Winter naeherte, mussten wir im Freien arbeiten, ohne Schuhe und ausreichenden Kleidungsschutz.
Anmerkungen
- The Jewish women were put to work mostly in auxiliary jobs, frequently with the forced laborers from Lebrechtsdorf and the Poles expelled from Warsaw. Their main occupation was building barracks and roads."', Quelle: USHMM Encyclopedia of Camps and Ghettos, Volume II, Part B, S. 1431 f.
Außenlager des Konzentrationslagers Stutthof | |
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Ort | Brusy-Dziemiany / Bruss-Sophienwalde |
Gebiet | Reichsgau Danzig-Westpreußen 1939-1945 |
Eröffnung | 24.08.1944 |
Schließung | "Evakuierung": Februar/März 1945 |
Häftlinge | ca. 500 |
Geschlecht | Frauen |
Einsatz der Häftlinge bei | Firma Moll; Milka, Hoch- und Tiefbau AG; Müller u. Co.; Welko u. Cohen; Firma Pinow; Firma Zemke |
Art der Arbeit | Bauarbeiten auf dem Militärgelände der SS/ Straßenbau; Bau eines Truppenübungsplatzes |
Bemerkungen | Die Häftlinge waren auf dem Truppenübungsplatz in Sophienwalde untergebracht. |
Quelle: |
Quelle: Przemysław Szamocki (2013). "Filia KL Stutthof „Sophienwalde" oraz obozy pracy w Dziemianach 1943-1945" (PDF). Wydzial Historyczny. Gdańsk: Uniwersytet Gdański. pp. 3–4, 10, 28–29, 30. Retrieved 5.5.2017
Unsere Baracken, in denen wir schliefen, hatten keine Fenster. Es ist mir passiert, dass mir meine Haare eines Morgens an der Wand festgefroren waren. Im Lager Sophienwald merkte ich das erste Mal, dass ich unter schweren Gedaechtnisstoerungen leide. Als mir der Lagerfuehrer Schulz [1]einmal auftrug, drei Dinge auszufuehren, vergas ich zwei davon, Gewoehnlich waere das ein Grund fuer eine Erschiessung gewesen. Im Lager Sophienwalde fielen mir auch alle meine Zaehne aus.
Anmerkungen
- SS-Oberscharführer Willy Schulz was named commandant of the subcamp; since June 29, 1944, he had been serving in the 2nd SS-Guard Battalion at Stutthof."` Quelle: USHMM Encyclopedia of Camps and Ghettos, Volume II, Part B, S. 1431 f.
Evakuierungsmarsch
Als sich die Russen unserem Gebiet naeherten, wurden wir auf den sog. Todesmarsch getrieben. Ohne Essen, barfuss und zerlumpt trieb man uns von Ort zu Ort. Am 10. Maerz 1945 wurde ich in der Naehe von Lauenburg befreit. Bei meiner Befreiung war ich typhuskrank. Ich kam damals sofort in ein Militaerhospital, kann mich aber nicht erinnern wie es hiess.
Nach dem Krieg
Nach meiner Befreiung kehrte ich zurueck nach Warschau, um nach meiner Familie zu suchen. Meine Eltern waren umgekommen und ich traf niemanden mehr an. Ende 1945/46 wandte ich mich nach dem Westen, da ich Angst hatte in Polen weiter verfolgt zu werden. Im Winter kam ich nach Westberlin und ging von da nach Eschwege bei Fulda, wo ich bis zu meiner Auswanderung nach den U.S.A. wohnte.
Rachil Schper verlies Deutschland am 4.12.1947 und emigrierte in die USA.
Anmerkungen
Weitere Quellen
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Entschädigungsamt
Darmstadt 1964-?
Anmerkungen
- Heute gehört Svir zu Weissrussland
- Rachil Schper gab ein Zeitzeugen-Interview (USC Shoah Foundation Institute Nummer 18340)
Bildnachweis
- Karte Wilna 1940, Reichsamt für Landesaufnahme, Berlin 1940; Quelle: mapywig
- Yad Vashem, Archival Signature 3380/582
- Yad Vashem, Archival Signature 1044/148
- Karte Riga, lithuanianmaps.com
- Yad Vashem, Archival Signature 17G01
- Przemysław Szamocki (2013). "Filia KL Stutthof „Sophienwalde" oraz obozy pracy w Dziemianach 1943-1945" (PDF). Wydzial Historyczny. Gdańsk: Uniwersytet Gdański. pp. 3–4, 10, 28–29, 30. Retrieved 5.5.2017
- Yad Vashem, Archival Signature 4578/8
- Schriftwechsel und Namenlisten, ausgestellt in Bremen: Verkehrsmittel Schiff (MARINE PERCH); Transitländer und Emigrationsziele: USA (hauptsächlich IRO-Unterstützung) 3.1.3.2/81650849/ITS Digital Archive, Arolsen Archives