Lilli Silbiger
- geboren am 5.9.1929 in Auschwitz als Tochter eines Getreidehändlers
- ab 1939 durfte sie keine Schule mehr besuchen und musste ab 1940 den Judenstern tragen, ihr Vater wurde enteignet
- im April 1941 kam sie und ihre Familie nach Sosnowitz, die Mutter und der Bruder wurden deportiert
- ab November 1942 fuhr sie täglich zur Zwangsarbeit - Strassenreinigung und Abfallsammeln - nach Kattowitz
- im Juni 1943 kam sie ins Zwangsarbeitslager Bolkenhain und musste dort Fallschirme und Decken herstellen, Deportation des Vaters und der zwei Schwestern
- danach musste sie in der Weberei im Zwangsarbeitslager Landeshut (Kamienna Gora) arbeiten
- von April 1944 bis Januar 1945 war sie im Zwangsarbeitslager/Außenlager des KZ Groß Rosen Grünberg/Zielona Gora und musste dort für die "Deutsche Wollwaren Manufaktur GmbH" arbeiten
- um den 30.1.1945 Beginn des Fußmarsches ins Außenlager Helmbrechts des KZ Flossenbürg (ca. 480 km)
- am 6.3.1945 Ankunft in Helmbrechts,
- am 13.4.1945 Evakuierung des Außenlagers, überlebte den Todesmarsch nach Volary (Wallern)
- Emigration in die USA
Bis 1941 Auschwitz
Vor Ausbruch der Verfolgungsmassnahmen lebte ich zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern in Auschwitz. Ich war ein kräftiges gesundes und fröhliches Mädchen und kann mich nicht erinnern, jemals krank gewesen zu sein. Ich besuchte die Schule.
Mein Vater war Kaufmann. Er betrieb einen Getreidehandel. Wir lebten gut. Ich war gerade 10 Jahre alt als meine Heimatstadt durch die Nazis besetzt wurde. Die ersten Verfolgungsmassnahmen trafen mich, indem ich die Schule nicht mehr besuchen konnte und man meinen Vater enteignete. Wir begannen unter drückenden Verhältnissen zu leben. Bald hatte ich auch den Judenstern zu tragen
Quelle: soweit nicht anders angegeben: Akten Konrad Kittl, eidesstattliche Erklärung Lilli S.
April 1941 - Juni 1943 Sosnowitz
1941 hat man alle Juden der Stadt vertrieben und nach Sosnowitz gebracht. Wir lebten hier unter den elendsten Verhaeltnissen. Im Gegensatz zu der ansaessigen juedischen Bevoelkerung von Sosnowitz hatten wir keinerlei Mittel, um uns zusaetzliche Nahrung zu verschaffen. Ich wurde Opfer eines Typhusfiebers und erhielt keine richtige aerztliche Hilfe.
Wenig spaeter hat man meine Mutter und meinen Bruder deportiert und ich habe sie nie wieder gesehen. Es war ein entsetzlicher Schock fuer mich. Mich selbst trieb man zu Arbeiten in Kattowitz und zwar hatte ich Abfall auf den Strassen aufzusammeln
siehe auch Anmerkung 1
1943 bis April 1944? Bolkenhain und Landeshut
Von hier aus schleppte man mich in das Lager Bolkenhain und spaeter nach Landshut. Hier hatte ich in einer Webereifabrik zu arbeiten. Unsere Arbeit war schwer und wir bekamen kaum etwas zu essen.
Meinen Vater und meine zwei Schwestern hatte man deportiert und ich habe sie nie wieder gesehen. Wir hatten in Tag- und Nachtschichten zu arbeiten. Als ich einmal erwischt wurde, wie ich von einer Arbeiterin ein Stueck Brot zugesteckt bekam wurde ich brutal geschlagen
Landeshut: Zwangsarbeitslager für Juden in Schlesien | |
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Ort | Landeshut |
Gebiet | Preußen (Provinz Niederschlesien) |
Eröffnung | Mai 1943 (erste Erwähnung) |
Schließung | April 1944 (letzte Erwähnung) |
Geschlecht | Frauen |
Art der Arbeit | Arbeit in der Spinnerei und Weberei |
Quelle: deutschland-ein-denkmal.de |
1944 - Grünberg/Zielona Gora (Aussenlager KZ Groß-Rosen)
Dann kam ich in das KZ Gruenberg. Hier herrschten die gleichen Verhaeltnisse. Schwerste Arbeiten in Tag- und Nachtschichten. Daneben liess man uns fuer Stunden im Freien stehen. Ich begann unter heftigen rheumatischen Schmerzen zu leiden. Zu dieser Zeit war ich bereits zu einem Skelett abgemagert. Nur die Angst vor der Vernichtung trieb mich weiter zu arbeiten.
Grünberg: Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen | |
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Ort | Zielona Góra / Grünberg in Schlesien |
Bezeichnung | Lager 1 |
Gebiet | Preußen (Provinz Niederschlesien) |
Eröffnung | Mitte 1944, vorher Zwangsarbeitslager für Juden |
Schließung | "Evakuierung" Januar 1945 zum Teil nach Bergen-Belsen und in Richtung Tschechoslowakei; Befreiung am 10.02.1945 |
Geschlecht | Frauen |
Einsatz der Häftlinge bei | Deutsche Wollwaren Manufaktur GmbH; Christwerke, Munitionsfabrik |
Quelle: deutschland-ein-denkmal.de |
Im Jahre 1944 wurde sie per Schiff nach Grünberg in Deutschland verbracht. Hier übernahm die SS die Gefangenen. Die Nahrungsmittelration wurde auf das absolute Minimum heruntergesetzt. Sie verlor schnell an Gewicht. - 30 Pfund. Sie arbeitete auch hier als Weberin.
Sie wurde von SS-Leuten über Gesicht und Körper mit Fäusten, Gewehrkolben und Holzstücken geschlagen, und zwar zweimal. Sie musste für Stunden stehen, und zwar im Freien bei großer Kälte, wobei sie lediglich ungenügende Kleidung hatte und barfuss war.
Quelle: Akten Konrad Kittl, Gutachten Dr. Harnick, 29.6.1966
siehe Anmerkung 2
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Evakuierung Grünberg
Dann wurden wir auf den sogenannten Vernichtungsmarsch geschleppt. Die Qualen dieser Zeit werde ich nie vergessen können. Die Mehrzahl der Mithaeftlinge kam um. Wer nicht weiter konnte wurde einfach erschossen. Zu essen bekamen wir kaum etwas.
Im Jahre 1945 wurde das Lager evakuiert wegen des Vormarsches der Sowjetarmee. Sie wurde gezwungen, jeden Tag ungefähr 30 km pro Tag zu marschieren, bei jedem Wetter und unter allen Bedingungen. Sie schlief im Freien und in Scheunen. Ihre Füße waren erfroren. Sie wachte oft auf und sah, daß sich Eis auf ihrem Körper gebildet hatte ... Sie wurde gezwungen, Gräber auszuheben für die Mädchen, die zur Ermordung vorgesehen waren. Sie wurde gezwungen, diese Gräber vorzubereiten, wenn sie wußte dass die Opfer noch am Leben waren. Sie hat dies nie überwunden und hat immer noch Albträume über dieses Thema.
Quelle: Gutachten Gutachten Dr. Harnick, 29.6.1966
Am 6.3.1945 traf in Helmbrechts ein Transport mit 621 weiblichen jüdischen Häftlingen ein. Die Jüdinnen befanden sich in einem äußerst schlechten Zustand. Die Frauen und Mädchen waren gegen Ende Januar 1945 in Grünberg (Schlesien) aufgebrochen, wo sich ein zum KL Groß-Rosen gehörendes Arbeitslager für Jüdinnen befunden hatte, und unter Bewachung von SS- oder Polizeiangehörigen zu Fuß bis nach Helmbrechts getrieben worden. Der Transport bestand ursprünglich aus 1000 Frauen und Mädchen... Auf dem Weg von Grünberg bis Helmbrechts wurde eine große Zahl von Häftlingen durch begleitende Wachtposten erschossen. Viele der Häftlinge verstarben auch an Entkräftung und Erschöpfung
Quelle: Urteil im Verfahren gegen den Lagerfuehrer Alois Dörr, 31.7.1969
Helmbrechts
Wir erreichten das KZ Lager Helmbrechts nahe Flossenbuerg. Dort liess man uns fuer drei Wochen stehen. Waehrend dieser Zeit liess man uns fast verhungern.
Quelle: eidesstattliche Erklärung Lilli S.
Die Verpflegung der Jüdinnen war äußerst schlecht. War schon die Verpflegung der übrigen Häftlinge nicht gut, so erhielten die Jüdinnen noch weniger zu essen. Vor allem wurde die für die Jüdinnen bestimmte Suppe nochmals mit Wasser verdünnt. Im Lager nannte man diese Suppe "Judensuppe". Zwischen dem 7.3. und dem 13.4.1945 starben im Lager Helmbrechts 44 Häftlinge. An einigen Tagen starben bis zu 6 Frauen und Mädchen. Bis auf zwei Tote wurden alle außerhalb des Lagers begraben. Die ersten Toten begrub man an der Mauer des Friedhofs Helmbrechts, außerhalb des eigentlichen Friedhofs neben dem dort befindlichen Abfallhaufen, die weiteren verscharrte man in einem ehemaligen Steinbruch in Haide bei Helmbrechts. Die letzten beiden Toten wurden im Lager neben der Lagerstraße eingegraben, unmittelbar bevor das Lager geräumt wurde.
Quelle: Urteil im Verfahren gegen den Lagerfuehrer Alois Dörr, 31.7.1969
13. 4. 1945 - 5. 5. 1945 - Marsch nach Volary und Befreiung
Dann wurden wir weiter auf den Marsch getrieben. Es gelang mir etwa zwei Tage vor meiner Befreiung zu entfliehen, d. h. ich blieb am Wege zurueck und ein Bauer nahm mich auf.
Quelle: eidesstattliche erklärung Lilli S.
Der Todesmarsch nach Volary war Gegenstand einer Verhandlung gegen den Lagerführer Alois Dörr. Ein Transkript der Verhandlungen befindet sich bei Helmbrechtswalk (Stand: 7.2.2018).
On 11 May 1945, the Sudeten German civilians who inhabited Volary (present-day Czech Republic), are forced by US troops to walk past bodies of 30 Jewish women, who were starved to death by German SS troops in a 300 mile (500 kilometres) death march across Czechoslovakia from Helmbrechts concentration camp to Volary. Buried in shallow graves in Volary, the bodies were exhumed by German civilians working under direction of Medics of 5th Infantry Division, U.S. Third Army. Bodies will be placed in coffins and reburied in cemetery in Volary. 5thMed. Bn.
Der Angeklagte ordnete an, daß die Vorräte an Kleidung und Decken an die Häftlinge auszugeben seien. Die nichtjüdischen Häftlinge bekamen zusätzliche Kleidungsstücke. Die Jüdinnen bekamen nichts. Jeder Häftling hatte lediglich eine Decke.
Mäntel oder sonstige Überkleidung für die Winterzeit hatten die Häftlinge nicht. Die Häftlinge bekamen vor dem Abmarsch Verpflegung. Die nichtjüdischen Häftlinge erhielten pro Person ein rundes Brot, etwas Wurst und Margarine. Was die Jüdinnen bekommen haben, konnte nicht mehr festgestellt werden. Die Marschverpflegung sollte für mehrere Tage reichen‚ weil die Häftlinge aber völlig ausgehungert waren, aßen die meisten die erhaltene Verpflegung sofort auf.
1. Tag, Freitag, 13.4.1945, Helmbrechts- Haide - Ahornberg - Reutlas - Modlitz - Seulbitz - Schwarzenbach/Saale (ca. 17 km)‚ Am Nachmittag des 13. 4. 1945 verließen die Häftlinge und das gesamte Wachpersonal das Lager. Zehn Häftlinge wurden bereits am ersten Tag getötet:
- Nach etwa 5 km Marschweg erschlug ein nicht ermittelter Angehöriger des Wachpersonals eine marschunfähig gewordene Häftlingsfrau etwa 20 m nach Passieren der Autobahnunterführung des Weges Meierhof—Ahornberg
- Etwa 2 km ostwärts von Ahornberg, kurz vor (westlich) dem Dorfe Modlitz erschossen nicht ermittelte Angehörige des männlichen Wachpersonals zwei Häftlinge. Die Erschießungen erfolgten in einem Wäldchen, dem sogenannten "Liegenholz".
- Auf dem Marsch durch Modlitz konnte eine ältere Häftlingsfrau, die eine rote Zipfelmütze trug, infolge Schwäche oder Krankheit nicht mehr allein laufen. Sie wurde deshalb von zwei anderen Häftlingsfrauen, die sie an den Armen unter gehakt hatten, mitgeschleift. Kurz hinter Modlitz, nahe dem Anwesen des Bauern Heinold; erschossen Angehörige des männlichen Wachpersonals zwei weitere Häftlinge, die zu schwach waren, aus eigenen Kräften mitzumarschieren. Eines der beiden Opfer war die Häftlingsfrau mit der roten Zipfelmütze. Diese beiden Frauen erschoß man etwa 7 m nördlich des Weges Modlitz-Wölbersbach, den der Häftlingszug benutzt hatte, im Wald des Bauern Hertel (Plan-Nr. 452).
- Zwischen Modlitz und Wölbersbach erschoß ein nicht ermittelter Wachtposten ein etwa 20 Jahre altes Mädchen des Häftlingszuges wenige Meter rechts (südlich) des Verbindungsweges Modlitz-Wölbersbach, weil es infolge Entkräftigung dem Häftlingszug nicht mehr folgen konnte.
- Der Zug marschierte durch Seulbitz in Richtung Schwarzenbach/Saale. Nördlich der Ortschaft verlief damals die Straße durch einen Hohlweg, der beiderseits von Büschen begrenzt war. Dort erschossen ein oder mehrere Angehörige der Wachmannschaft insgesamt vier weibliche Häftlinge. Auch diese vier Gefangenen wurden nur getötet, weil sie zu schwach waren, um mit den anderen Häftlingen mitzugehen.
- Insgesamt sind ab 13.4.1945, dem Zeitpunkt der Räumung des Lagers in Helmbrechts, mindestens 129 Häftlinge an Erschöpfung oder Krankheiten gestorben und 49 Häftlinge von Mitgliedern des Bewachungspérsonals erschossen oder erschlagen worden.
Quelle: Urteil im Verfahren gegen den Lagerfuehrer Alois Dörr, 31.7.1969
Anmerkungen
Entschädigungsamt
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Weitere Quellen
- Yad Vashem: Beschreibung des Marsches mit Augenzeugenberichten
- Ghetto Sosnowitz: Ghetto Sosnowitz Geschichte Ghetto Sosnwitz
- Virtual Shtetl (englisch): Auschwitz
- Urteil im Verfahren gegen Alois Dörr:
Anmerkungen
- siehe auch Beschreibung Sosnowitz in THE UNITED STATES HOLOCAUST MEMORIAL MUSEUM, Encyclopedia of CAMPS AND GHETTOS, 1933–1945, VOLUME II, Ghettos in German-Occupied Eastern Europe, Part A, S. 162 ff.
- Beschreibung Grünberg bei der "Encyclopedia of Camps and Ghettos": "They worked in various departments as needed. The food was wretched, a starvation diet. The women were emaciated. Beating and persecution by the staff were a daily occurrence. The women were deprived of meals for even the slightest offenses, long roll calls were held, and their heads were shaved.". Quelle: ENCYCLOPEDIA OF CAMPS AND GHETTOS, 1933–1945, Volume I, Part A, S. 742 f.
Bildnachweis
- Credit: Yad Vashem Archival Signature 4613/824
- Credit: Dział Historyczny Muzeum Ziemi Lubelski
- Gedenkstätte Flossenbürg
- Credit: Yad Vashem Archival Signature 49EO3