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An english version is now available, see upper right hand corner. However, not all of the documents I have created have been translated yet, and I cannot say whether the scanned documents will ever be translated. Due to our very restricted ressources, I'm afraid.

Worum es geht

Leben und Sterben im Ghetto - 1
Leben und Sterben im Ghetto - 2

Der Bestand

Der Bestand im „Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V." umfasst ca. 1500 Akten von Entschädigungsverfahren wegen Schaden an „Körper und Gesundheit“ nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Durchgeführt wurden diese vom Münchner Rechtsanwalt Konrad Kittl in den 1960er Jahren. Die Erfassung und Auswertung der Akten habe ich 2015 begonnen.

Konrad Kittls Akten geben eine Vorstellung davon, welche Informationen  in den Original-Akten in den Archiven enthalten sind. Sie sind unseres Wissens nach die einzigen Unterlagen zu Entschädigungsverfahren außerhalb der staatlichen Archive, und einzigartig ist sicherlich die Korrespondenz der Anwälte untereinander sowie der Einblick in Kittls Arbeit,  den seine Korrespondenz liefert.

Sie sind Beispiele für die Original-Akten, für die „hunderttausend- und millionenfach vorhandenen Einzelfallakten der Menschen, die im Verwaltungsverfahren ihr Verfolgungsschicksal wie auch ihre Familiengeschichte mit Angabe von Daten, Orten, Namen, Täterinnen und Tätern, weiteren Opfern und mehr geschildert haben.“ (Bundes-Ministerium der Finanzen, Monatsbericht des BMF, Januar 2021, "Das Archivierungsprojekt der Wiedergutmachung und seine Bedeutung im Kampf gegen den Antisemitismus", S. 75).

Ziele der Auswertung

Den Inhalt der Akten bekanntmachen

Der Inhalt gibt einen guten Überblick über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich und Osteuropa sowie den Verlauf der  Entschädigungsverfahren.

Schilderungen von Zeitzeugen veröffentlichen

Die Antragsteller wurden aufgefordert, ihr Verfolgungsschicksal und das ihrer Angehörigen zu schildern. Diese knappen Schilderungen illustrieren die Verfolgung und sie stellen Puzzleteile dar, die zusammen ein Gesamtbild der Verfolgung liefern. Die unterschiedlichen Herkunftsländer der Verfolgten zeigen die Schicksale von Juden aus Deutschland, vom Baltikum bis Ungarn und Rumänien. Sie sollten nicht in Vergessenheit geraten.

Verknüpfung von Ghettos, KZs und Zwangsarbeitslagern mit Namen

Die Antragsteller schildern ihr Verfolgungsschicksal und  erwähnen auch die Inhaftierungsorte, welche  auf einer Karte (siehe unten) verzeichnet sind. Diesen Inhaftierungsorten können jetzt (weitere) konkrete Personen zugeordnet werden.

Die Schicksale von Bewohnern eines Ghettos/Lagers

Durch die große Zahl von Antragstellern, die sich in einem Lager oder Ghetto befanden, lässt sich die Situation dort anhand ihrer Aussagen   genauer beschreiben. Ein Beispiel dafür ist die Beschreibung der Schicksale der Antragstellerinnen und Antragsteller aus Wilna, basierend auf den Aussagen von 19 Antragstellerinnen und Antragstellern. Ähnliche Darstellungen für Auschwitz (178) und Ghetto Lodz (88) sind geplant.

Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Archiven

Die ergänzenden Dokumente u.a. aus den Arolsen Archives, des United States Holcaust Memorial Museum und der Landesentschädigungsämter liefern zusätzliche Informationen die die Daten der Antragsteller und Antragstellerinnen bestätigen und ergänzen. Außerdem geben sie einen Einblick in die Bürokratie der Verfolgung wo mit Arbeitsausweisen, Erfassungsbögen, Wohnungsbelegungsbögen, Ausweisungsbefehlen, Häftlingskarteikarten, Häftlingspersonalbögen, Effektenkarten, Arbeitseinsatzkarten, Transportlisten u.v.m die Verfolgten erfasst wurden.

Daneben haben einige Antragstellerinnen und Antragsteller später Interviews gegeben (siehe United States Holocaust Memorial Museum):

Henry Adler, Sam Binke, Esther Eisdorfer, Elka Kolski, Bernhard Martin, Hyman Olstein, Boris Piekny, Joe Schlesinger, Rachel SchperLilli Silbiger,  Felix Zgnilek.

Die Biografie von Lilli S. konnte ergänzt werden durch die Angaben aus einem Gerichtsurteil gegen den Lagerführer des Außenlagers Helmstedt, Alois Dörr. Zumindest zwei weitere Antragsteller traten als Zeugen in Gerichtsverfahren auf, u. a. Boris Piekny in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen.

Beschreibung der Ausbeutung

Die Biografien der Antragstellerinnen und Antragsteller  werden ergänzt durch entsprechende Beschreibungen der Arbeitslager von deutschland-ein-denkmal.de. Sie sollen die Aussagen der Antragstellerinnen insoweit ergänzen, als das hier die auszuführenden Arbeiten - soweit die Antragsteller diese nicht selbst benennen - beschrieben und die Firmen genannt werden, für die sie arbeiten mußten. Manche Antragstellerinnen erwähnen diese, die meisten jedoch nicht.

Erschließung weiterer Themenbereiche

Es werden häufig Namen von Personen, Organisationen und Ereignissen genannt bzw. führen zu Namen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten der Verfolgung stehen:

  • Ereignisse: Novemberpogrom ("Reichskristallnacht"), "Polenaktion", Auschwitz-Prozesse in Frankfurt (Boris Piekny)
  • Organisationen: Organisation Todt, Organisation Schmelt
  • Firmen: IG Farben, HASAG, Hermann-Göring-Werke (Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring")
  • Personen: Jacob Gens, Hans Biebow, Mordechai Chaim Rumkowski, Karl Plagge (Moshe K.), Oskar Schindler  (Feivel Haar), Erwin Dold

Diese Begriffe sind jeweils zu einer Webseite mit weiteren Informationen verlinkt und sollen zu weiterer eigenständiger Recherche anregen.

Erschließung von Internetquellen

Durch die Einbindung von passenden links zu den Internetauftritten von z.B. Gedenkstätten und Portalen wird versucht, zu eigenen Recherchen zu motivieren. Die Biografien dienen hier als roter Faden, anhand dessen die existierenden Beschreibungen der Ghettos, Zwangsarbeitslager und KZ's zugänglich gemacht werden sollen. Es gibt mittlerweile genügend seriöses Seiten, viele davon leider nur in englischer Sprache. Um die Einstiegsschwelle für eigene Recherchen möglichst niedrig zu halten, wird auf Internetquellen verlinkt.

Anregung zu weiteren Recherchen in Archiven

In den Unterlagen werden Namen von Zeugen sowie das Landesentschädigungsamt und das Aktenzeichen ihrer Entschädigungsverfahren genannt. Da alle Entschädigungsverfahren eines Antragstellers vom gleichen Entschädigungsamt durchgeführt wurden, können weitere Informationen aus anderen  Verfahren des Antragstellers dort gefunden werden.

Die Dokumente

Konrad Kittls Akten enthalten unterschiedlichste Dokumente, die die Verfolgung beschreiben, unter anderem:

  • Teilweise sehr detaillierte Aussagen der Antragstellerin oder des Antragstellers zur Verfolgung in Eidesstattlichen Erklärungen
  • Angaben zu Inhaftierungszeiten und -orten
  • Weitere biografische Angaben über das Leben vor der Verfolgung und nach der Befreiung.

Angaben zur Biografie und der Verfolgung finden sich etwa in

  • Eidesstattlichen Erklärungen der Antragsteller*innen
  • Auskunftsersuchen an den "International Tracing Service" (ITS), Arolsen, um Auskünfte  z.B. zu Haftzeiten zu bekommen.
  • Auskünften des ITS zu Haft, Aufenthalt und Gesundheit der Antragsteller*innen
  • Antragsformularen
  • Gutachten
  • u.v.m.

Die Antragsteller*innen

Die Antragsteller*innen kamen ursprünglich aus den verschiedenen Ländern Osteuropas und dem Deutschen Reich.
Sie emigrierten bis Ende der 1940er Jahre nach Israel oder in die USA.
Sie beauftragten dort Rechtsanwälte  mit der Durchführung ihrer Verfahren, welche wiederum  Konrad Kittl beauftragten, sie hier vor Ämtern und Gerichten zu vertreten. Sehr viele Fälle erhielt Konrad Kittl von den Anwälten  Rozenberg (Tel Aviv/Israel) bzw. Kestenberg  (New York/USA)

Die Mehrzahl der Antragsteller*innen waren zur Zeit der Verfolgung noch Kinder und Jugendliche.

Die Antragsteller befanden sich oft in einer Vielzahl von Lagern.

Darstellungen auf der Webseite

Eines meiner Hauptanliegen war es, die Existenz und den Inhalt der Akten bekanntzumachen. Die Darstellungen auf der Webseite sind nur Beispiele für mögliche Präsentationen des Inhalts von Kittls Akten, und das auch noch in einer ziemlich "veralteten" Form. Vielleicht lassen sich manche dazu anregen, die Inhalte der Akten auf eine andere Art darzustellen. Etliche Dokumente können ja auch hier heruntergeladen werden, ansonsten sind die Akten ja zugänglich.

Biografien

Auf der Basis der Informationen aus den Akten entstanden unter anderem aktuell 32 Biografien.

Dokumente, die für die Erstellung der Biografien relevant sind, werden zum Download angeboten. Es sind Skizzen, die nach und nach ergänzt werden durch Angaben aus den Originalakten, so diese zugänglich sind.
Darüber hinaus beschreiben Exzerpte  aus den Aussagen von mehr als 90 Antragstellerinnen und Antragstellern  die Erlebnisse im Deutschen Reich, Ghettos, KZ’s und Zwangsarbeitslagern, in der Illegalität, auf Todesmärschen, nach der Befreiung und in der UdSSR.

Bei den Biografien ergänzen Dokumente und Angaben aus weiteren Archiven wie

  • Häftlingsunterlagen aus den Arolsen Archives
  • Dokumente der Ghetto-Verwaltung von den United States Holocaust Memorial Museum
  • Originalakten aus den Archiven der Landesentschädigungsämter
  • Gerichtsurteile aus den Archiven der Justiz

die in Kittls Akten enthaltenen Angaben.

Bildquellen siehe Antragsteller*innen

Über die Entschädigungsverfahren

Darüber hinaus bieten die Akten einen guten Einblick in den Ablauf von Entschädigungsverfahren, da die Korrespondenz von Kittl mit den ausländischen Rechtsanwälten und Entschädigungsämtern und Gerichten enthalten ist.
In ihnen werden auch die vielfältigen Probleme deutlich, die während der Bearbeitung auftraten.

Warum "Zeitzeugin Akte"?

Die Antragsteller*innen wurden aufgefordert, bei Beginn eines jeden Verfahrens  eine Schilderung ihrer Verfolgung, und, im Falle eines Antrags auf Entschädigung wegen "Schaden an Körper oder Gesundheit",  des Schicksals ihrer Angehörigen abzugeben. Häufig kamen dann noch Nachfragen von Ämtern zur Klärung offener Punkte.
Diese Schilderungen waren für jedes mögliche Verfahren (Haft, Leben, Gesundheit, Ausbildung) der Antragsteller*innen zu erstellen. Im Falle von Gerichtsverfahren mussten die Antragsteller*innen oft ebenso weitere Fragen beantworten. Auch gegenüber Gutachtern schilderten sie ihre Erlebnisse, so dass sich diese "Interviews" oft über 5, 10, 15 Jahre erstreckten.  Insgesamt enthalten die Akten "detaillierte Darstellungen des selbst Erlebten in Schriftform. Sie sind damit gleichsam verschriftlichte Gespräche mit Zeitzeugen" (Monatsbericht des BMF, Januar 2021).  Wobei – auf Grund der unterschiedlichen Schadensarten – verschiedenste Aspekte der Verfolgung geschildert wurden.

Der Schwerpunkt von Konrad Kittl waren allerdings Entschädigungen für „Schaden an Körper und Gesundheit“. Aussagen von Antragstellern zu anderen Schadensarten sind hauptsächlich zum „Schaden an Freiheit“ enthalten. In den Akten sind nur einige wenige Aussagen zum Schaden an Vermögen, Ausbildung, Leben enthalten. Näheres siehe Abschnitt "Über die Biografien“.

Die Aussagen der Antragsteller

Zur Begründung jeden Antrages wurden eidesstattliche Erklärungen gegenüber den Entschädigungsämtern und Gerichten gefordert - eine "Schilderung des Verfolgungsverlaufs ... und auch des  Verfolgungsschicksals näherer Angehöriger" (siehe dieses Schreiben). Diese Schilderungen  illustrieren die grausame Verfolgung von Juden durch die Nationalsozialisten. Es sind Zeitzeugenberichte in Kurzform.

Sie beschreiben:

  • die Verfolgung deutscher Juden ab 1933
  • die Erlebnisse unmittelbar nach dem Beginn der nationalsozialistischen Besatzung: Enteignung, Verbot des Schulbesuchs, Zwangsarbeit, Mißhandlungen, Ermordung von Angehörigen.
  • das Leben in den Ghettos: drangvolle Enge, Seuchen, Hunger, Zwangsarbeit in 12-stündigen Schichten für deutsche Firmen und das Militär, Deportationen und/oder Ermordung von Familienmitgliedern, Massenerschießungen bei Liquidationen von Ghettos
  • das Leben in KZs und Arbeitslager: Tote während des Transports, Ermordung von Angehörigen bei der Ankunft in Auschwitz, Zwangsarbeit (in Munitionsfabriken, Bergwerken, Bunkerbau, Flugplatzbau, Flugzeugbau, Spinnereien, Webereien u.v.m.) und Misshandlungen bei vollkommen ungenügender Ernährung und Bekleidung
  • die Todesmärsche: Hunger, mangelnde Bekleidung, Bombardierungen, Ermordung von Häftlingen durch die Wachmannschaften
  • das Leben in der Illegalität: einige der Antragsteller konnten fliehen und mussten in Verstecken bei Bauern und in den Wäldern, von deutschen Patrouillen verfolgt, Hunger und der Kälte ausgesetzt um ihr Leben kämpfen.
  • das Leben in der UdSSR: Juden konnten in das russisch besetzte Gebiet fliehen oder wurden von den Deutschen dorthin vertrieben. Sie schildern ihr Leben erst in Arbeitslagern, später das Leben meist in Mittelasien
  • das Leben vor und nach der Verfolgung: die Antragstellerinnen und Antragsteller beschreiben - nur  kurz -  das Leben vor der Verfolgung und von der Befreiung bis zur Emigration nach Israel oder die USA. Aufschlußreich die Berichte über die illegalen Einreisen nach Israel auf "Seelenverkäufern" mit Verfolgung durch britische Schiffe und Internierungen auf Zypern, auf bei Sturm sinkenden Schiffen. Henia Weissblum  und David Kochman waren auf der "Exodus", Bernd-Dov Joseph  auf der "Patria".

Über das Projekt und mich

Nach einem Studium der Politischen Wissenschaften, Soziologie und Geschichte mit einem Abschluss als "Magister Artium" (M.A.) sowie einer anschließenden Umschulung arbeitete ich lange Jahre als Trainer für verschiedene Betriebssysteme und andere Software bei einem international tätigen deutschen Konzern. Zu meinen Aufgaben gehörte die Konzeption der Kurse, die Erstellung von Kursunterlagen sowie die Durchführung von Kursen im In- und Ausland. Nachdem ich auf Grund von Restrukturierungsmaßnahmen meinen Arbeitsplatz verloren hatte, war ich (und bin immer noch) Hausmann und habe mittlerweile das Rentenalter erreicht. An die Akten kam ich 2015  auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung. Die Aufgabe war, die in Umzugkartons und Hängeregistern geschätzten 1500 Akten von Metall zu befreien sowie einige Angaben dazu zu vermerken..

Ziemlich bald kam mir der Gedanke, Teile des Inhalts, die Aussagen der Antragsteller nämlich,  zu veröffentlichen. Die teilweise sehr berührenden Aussagen sollten nicht in Vergessenheit geraten, zumal angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung.  Zur Illustration gesellten sich dann nach und nach die Ergebnisse der Suche in diversen Datenbanken, Karten zum besseren Überblick, Informationen aus Akten der Landesentschädigungsämter. Ich habe zur Illustrierung auch links zu den Seiten von Gedenkstätten wie Flossenbürg oder Neuengamme weiteren Seiten eingerichtet, die zu Beschreibungen von Außenlagern, KZs und Ghettos führen, in denen die Antragsteller*innen inhaftiert waren.

Ich durfte das Projekt im März 2023 auf einer Veranstaltung des NS-Dokumentationszentrums München vorstellen, ein Video der Veranstaltung finden Sie hier. Seitdem ist auch diese Webseite online.

Die Webseite ist noch nicht fertiggestellt, ich bemühe mich noch um Akten aus den Archiven, um vielleicht doch noch einige Biografien zu erstellen.

Anregungen, Wünsche, Fehlermeldungen werden übrigens gerne entgegengenommen!

Steffen Müller

Förderung

Unsere Arbeit wird gefödert durch das Kulturreferat der Stadt München

sowie vom Bezirk Oberbayern.