Ghetto: Erlebnisse verfolgter Juden

Leben und Sterben im Ghetto - 1

Leben und Sterben im Ghetto - 1

Leben und Sterben im Ghetto - 2

Leben und Sterben im Ghetto - 2

Die Aussagen in den Videos entstammen eidesstattlichen Erklärungen, welche die jüdischen Antragsteller im Rahmen ihrer Entschädigungsverfahren abgeben mussten. Sie sind in den Akten des Rechtsanwalts   Konrad Kittl enthalten, der in den 1950er/1960er Jahren mehr als 1500  Entschädigungsverfahren wegen "Schaden an Körper oder Gesundheit" durchführte. Für das Entschädigungsverfahren wegen "Schaden an Körper oder Gesundheit" mussten  die jüdischen, meist osteuropäischen Antragstellerinnen und Antragsteller Schilderungen ihrer Erlebnisse während der Verfolgung erstellen, siehe z.B. dieses Schreiben des Landesentschädigungsamtes Trier . Es wird eine

„Schilderung des Verfolgungsverlaufs unter ausführlicher Darlegung der geltend gemachten Körperschäden […] auch Verfolgungsschicksal näherer Angehöriger (Ehefrau, Kinder, Eltern usw.)“

gefordert. Sie berichteten deswegen auch über das Schicksal ihrer Angehörigen. Eine (unvollständige) Aufstellung zeigt die hohe Zahl an ermordeten Angehörigen.

Konrad Kittl  vernichtete die während der Verfahren entstandenen Handakten nicht und übergab sie dem "Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V."

Weitere Stationen der Verfolgung: Konzentrationslager, Illegalität, Todesmärsche

In den eidesstattlichen Erklärungen wird jedoch nicht nur das Leben im Ghetto beschrieben, sondern auch die Erlebnisse in Zwangsarbeitslagern, Konzentrationslagern auf den Todesmärschen, in der Illegalität.

Sie beschreiben:

  • die Verfolgung deutscher Juden ab 1933
  • die Erlebnisse unmittelbar nach dem Beginn der nationalsozialistischen Besatzung: Enteignung, Verbot des Schulbesuchs, Zwangsarbeit, Mißhandlungen, Ermordung von Angehörigen.
  • das Leben in den Ghettos: drangvolle Enge, Seuchen, Hunger, Zwangsarbeit in 12-stündigen Schichten für deutsche Firmen und das Militär, Deportationen in Vernichtungslage, Ermordung von Familienmitgliedern im Ghetto, Massenerschießungen bei Liquidationen von Ghettos
  • das Leben in KZs und Arbeitslager: Tote während des Transports, Ermordung von Angehörigen bei der Ankunft in Auschwitz, Zwangsarbeit (in Munitionsfabriken, Bergwerken, Bunkerbau, Flugplatzbau, Flugzeugbau, Spinnereien, Webereien u.v.m.) und Misshandlungen bei vollkommen ungenügender Ernährung und Bekleidung
  • die Todesmärsche: Hunger, mangelnde Bekleidung, Bombardierungen, Ermordung von Häftlingen durch die Wachmannschaften
  • das Leben in der Illegalität: einige der Antragsteller konnten fliehen und mussten in Verstecken bei Bauern und in den Wäldern, von deutschen Patrouillen verfolgt, Hunger und der Kälte ausgesetzt um ihr Leben kämpfen.
  • das Leben in der UdSSR: Juden konnten in das russisch besetzte Gebiet fliehen oder wurden von den Deutschen dorthin vertrieben. Sie schildern ihr Leben erst in Arbeitslagern, später das Leben meist in Mittelasien

Weitere Informationen zu den eidesstattlichen Erklärungen und ihrer Entstehungsgeschichte siehe die Seite "Über die Biografien"

Leben vor und nach der Verfolgung

Aber die Antragstellerinnen und Antragsteller beschrieben auch - manchmal sehr detailliert - das Leben vor der Verfolgung, mit Beschreibung ihrer Ausbildung, ihrer Arbeit, Familien- und Wohnsituation, siehe z. B. auch die Biografien von

und von der Befreiung bis zur Emigration nach Israel oder die USA, auch in den Biografien. Sie listen die DP-Camps auf, in welchen sie sich befanden, berichten über Ausbildungen  und über Heiraten sowie die Geburt ihrer Kinder. Auch die Odysee der Auswanderung wird beschrieben:

  • Berko Deicz
  • Ernst Nasch, Studium an der Ludwigs-Maximilian-Universität, München
  • Henia Weissblum  und David Kochman waren auf der "Exodus", Bernd-Dov Joseph  auf der "Patria": sie berichten über die illegalen Einreisen nach Israel auf "Seelenverkäufern" mit Verfolgung durch britische Schiffe und Internierungen auf Zypern, auf bei Sturm sinkenden Schiffen.

sowie die Folgen der Verfolgung, z. B.

  • Abbruch von Ausbildungen
  • sozialer Abstieg, weil der/die Verfolgten nicht mehr im erlernten Beruf arbeiten konnten

Herkunft und Alter der Verfolgten

Die Antragsteller*innen kamen ursprünglich aus den verschiedenen Ländern Osteuropas und dem Deutschen Reich.
Sie emigrierten bis Ende der 1940er Jahre nach Israel oder in die USA.
Sie beauftragten dort Rechtsanwälte  mit der Durchführung ihrer Verfahren, welche wiederum  Konrad Kittl beauftragten, sie hier vor Ämtern und Gerichten zu vertreten. Sehr viele Fälle erhielt Konrad Kittl von den Anwälten  Rozenberg (Tel Aviv/Israel) bzw. Kestenberg  (New York/USA)

Die Mehrzahl der Antragsteller*innen waren zur Zeit der Verfolgung noch Kinder und Jugendliche.

Weitere Angaben zu den Antragsteller*innen:

  • auf der Seite "Über die Antragsteller": Berufe, Herkunft, Alter, erwähnte Ghettos, Konzentrationslager, Verfolgungsschicksale
  • auf der Seite "Ghettos": ausgeführte Zwangsarbeiten
  • auf der Seite "Lager: erwähnte Konzentrationslager und Anzahl der Antragsteller*innen, ausgeführte Zwangsarbeiten

Die Quellen für die Biografien - Kittls Akten

Konrad Kittls Akten enthalten unterschiedlichste Dokumente, die die Verfolgung beschreiben, unter anderem:

  • Teilweise sehr detaillierte Eidesstattliche Erklärungen zur Verfolgungsgeschichte
  • Angaben zu Inhaftierungsorten und -zeiten, basierend auf Angaben in früheren Verfahren
  • Antragsbögen mit Angaben zu Familie, Beruf und Einkommen  vor der Verfolgung
  • Auskunftsersuchen an den "International Tracing Service (ITS), Arolsen
  • Auskünfte des ITS zu Haft, Gesundheit, Aufenthalt nach der Befreiung
  • Gutachten zu psychischen und physischen Schäden
  • Unterlagen zu Gerichtsverfahren, die Konrad Kittl anstrengte

Eine Liste, welche Daten in welchem Dokument zu finden sind, wird zum download angeboten.

Biografien der verfolgten Juden

Auf der Basis der Informationen aus den Akten entstanden unter anderem aktuell 43 Biografien.


Die für die Erstellung der Biografien relevanten Dokumente werden zum Download angeboten.. Sie sind oft genug skizzenhaft, und werden nach und nach ergänzt durch Angaben aus den Originalakten, so diese zugänglich sind.
Darüber hinaus beschreiben Exzerpte  aus den Aussagen von mehr als 90 Antragstellerinnen und Antragstellern  die Erlebnisse im Deutschen Reich, Ghettos, KZ’s und Zwangsarbeitslagern, in der Illegalität, auf Todesmärschen, nach der Befreiung und in der UdSSR.

Weitere Quellen

Bei den Biografien ergänzen Dokumente und Angaben aus weiteren Archiven und Webseiten die in Kittls Akten enthaltenen Angaben, z.B.

  • Häftlingsunterlagen aus den Arolsen Archives, Suche nach und download von Dokumenten im Online-Archiv
  • Dokumente der Ghetto-Verwaltung von den United States Holocaust Memorial Museum, Suche nach und download von Dokumenten in der "Holocaust Survivors and Victims Database"
  • Originalakten aus den Archiven der Landesentschädigungsämter
  • Webseiten der Gedenkstätten

Bildquellen siehe Antragsteller

Die ergänzenden Dokumente u.a. aus den Arolsen Archives, des United States Holcaust Memorial Museum und der Landesentschädigungsämter liefern zusätzliche Informationen die die Daten der Antragsteller und Antragstellerinnen bestätigen und ergänzen. Außerdem geben sie einen Einblick in die Bürokratie der Verfolgung wo mit Arbeitsausweisen, Erfassungsbögen, Wohnungsbelegungsbögen, Ausweisungsbefehlen, Häftlingskarteikarten, Häftlingspersonalbögen, Effektenkarten, Arbeitseinsatzkarten, Transportlisten u.v.m die Verfolgten erfasst wurden..

Ein vollständige Liste der Quellen seht zum download zur Verfügung.

Schicksale Wilnaer Juden

Auf der Seite "Wilna" wird der Versuch unternommen, anhand der Schilderungen von 20 Überlebenden das Schicksal der Bewohner ausführlicher  zu beschreiben, ihr Leben vor der Besatzung, im Ghetto, dann in baltischen Konzentrationslagern wie Vaivara und Riga, später dann in Stutthof bis zur Befreiung. Einige konnten fliehen und in Verstecken überleben, andere überlebten im Heereskraftfahrpark 562 und konnten sich bei dessen Auflösung verstecken.

Sie beschreiben das Schicksal ihrer Angehörigen, die von Einsatzkommandos bei der Besetzung Wilnas ermordet wurden oder später  in Ponary. Zwei der Inhaftierten überlebten das Massaker in am 20.9.1941 Niemenczyn, bevor sie ins Ghetto Wilna kamen.

Ähnliche Darstellungen für Auschwitz (178 Antragsteller*innen) und Ghetto Lodz (88 Antragsteller*innen) sind geplant.

Der Bestand an Entschädigungsakten

Der Bestand im „Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V." umfasst ca. 1500 Akten von Entschädigungsverfahren wegen Schaden an „Körper und Gesundheit“ nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Durchgeführt wurden diese vom Münchner Rechtsanwalt Konrad Kittl in den 1960er Jahren. Die Erfassung und Auswertung der Akten habe ich 2015 begonnen.

Konrad Kittls Akten geben eine Vorstellung davon, welche Informationen  in den Original-Akten in den Archiven enthalten sind. Sie sind unseres Wissens nach die einzigen Unterlagen zu Entschädigungsverfahren außerhalb der staatlichen Archive, und einzigartig ist sicherlich die Korrespondenz der Anwälte untereinander sowie der Einblick in Kittls Arbeit,  den seine Korrespondenz liefert.

Sie sind Beispiele für die Original-Akten, für die „hunderttausend- und millionenfach vorhandenen Einzelfallakten der Menschen, die im Verwaltungsverfahren ihr Verfolgungsschicksal wie auch ihre Familiengeschichte mit Angabe von Daten, Orten, Namen, Täterinnen und Tätern, weiteren Opfern und mehr geschildert haben.“ (Bundes-Ministerium der Finanzen, Monatsbericht des BMF, Januar 2021, "Das Archivierungsprojekt der Wiedergutmachung und seine Bedeutung im Kampf gegen den Antisemitismus", S. 75).

Warum "Zeitzeugin Akte"?

Die Antragsteller*innen wurden aufgefordert, bei Beginn eines jeden Verfahrens  eine Schilderung ihrer Verfolgung, und, im Falle eines Antrags auf Entschädigung wegen "Schaden an Körper oder Gesundheit",  des Schicksals ihrer Angehörigen abzugeben. Häufig kamen dann noch Nachfragen von Ämtern zur Klärung offener Punkte.
Diese Schilderungen waren für jedes mögliche Verfahren (Haft, Leben, Gesundheit, Ausbildung) der Antragsteller*innen zu erstellen. Im Falle von Gerichtsverfahren mussten die Antragsteller*innen oft ebenso weitere Fragen beantworten. Auch gegenüber Gutachtern schilderten sie ihre Erlebnisse, so dass sich diese "Interviews" oft über 5, 10, 15 Jahre erstreckten.  Insgesamt enthalten die Akten "detaillierte Darstellungen des selbst Erlebten in Schriftform. Sie sind damit gleichsam verschriftlichte Gespräche mit Zeitzeugen" (Monatsbericht des BMF, Januar 2021).  Wobei – auf Grund der unterschiedlichen Schadensarten – verschiedenste Aspekte der Verfolgung geschildert wurden.

Der Schwerpunkt von Konrad Kittl waren allerdings Entschädigungen für „Schaden an Körper und Gesundheit“. Aussagen von Antragstellern zu anderen Schadensarten sind hauptsächlich zum „Schaden an Freiheit“ enthalten. In den Akten sind nur einige wenige Aussagen zum Schaden an Vermögen, Ausbildung, Leben enthalten. Näheres siehe Abschnitt "Über die Biografien“.

Letzte Änderungen

zuletzt geändert am  22.8.2025: Neues Design

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